Corona-Studie: Kita-Schließungen unnötig – Was sagen Eltern dazu?

Jugendamtselternbeirat Hilden: Was wir nun unseren Kindern schuldig sind

Zunächst ist es ja eine gute Nachricht: Eine Corona-Kita-Studie für das Bundesgesundheitsministerium hat ergeben, dass während der Covid 19-Pandemie Kita-Kinder „keine Infektionstreiber“ und die „Schließung von Kitas weder notwendig noch medizinisch angemessen“ waren, so erklärte es Fachminister Karl Lauterbach vor einigen Tagen. ➤ Mehr Details gibt es hier…

Nun aber fühlen sich viele Eltern vor den Kopf gestoßen. Denn die Familien haben unter den strikten Lockdowns und der Isolation besonders gelitten. Auch das besagt die Studie – obwohl das eigentlich keiner wissenschaftlichen Untersuchung bedurft hätte.

 

War das also alles unnötig? Wie sollen nun die vielen psychischen und seelischen Schäden wieder gelindert oder gar behoben werden?

Wir haben mit Michael Hirsch-Herda vom Jugendamtselternbeirat (JAEB) Hilden gesprochen.

 

Was haben Sie als erstes gedacht, als Sie von dieser Studie gehört haben?

Nun, rückblickend sind alle klüger. Die Pandemie war eine neue, belastende Situation für alle und der größte Teil der Eltern war froh, nicht in der Position der Entscheidungsträger zu sein.

 

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 Michael Hirsch-Herda (Foto: privat)

 

Es war eine große Verantwortung, und Schreckensbilder und -meldungen, z.B. aus Italien, erhöhten den Druck deutlich. Keiner wollte verantwortlich dafür sein, die Großeltern mit fraglich tödlichem Ausgang mit Corona zu infizieren oder zum Zusammenbruch des deutschen Gesundheitssystems beizutragen.

Nichtsdestotrotz waren die Auswirkungen, wie allgemein bekannt, enorm.

 

Welche Auswirkungen hatten die Kita-Schließungen auf die Kinder?

Kleinfamilien waren lange Zeit teilweise auf sehr beengtem Raum isoliert. Manche trauten sich kaum, das Haus zu verlassen. Es war eine Situation, die wie eine Lupe die Dinge betonte, die im Bildungs- und Betreuungssektor schon nur mit viel Mühe und Not kaschiert werden konnten und vielleicht immer schon herausfordernd für die Individuen der Familien waren.

 

Es gab keine Möglichkeit, durch Interaktion mit Freunden oder der erweiterten Familie Druck herauszunehmen; keine Möglichkeit für die Kinder, sich an Gleichaltrigen zu entwickeln und sich mit ihnen auszutauschen. Jedes Bedürfnis nach Reibung und Auseinandersetzung, nach Nähe und Freundschaft, musste familienintern befriedigt werden.

Es hat sicherlich einerseits in manchen Familien die Bindungen gestärkt, andererseits aber Konflikte verstärkt und alle sehr belastet. Die so wichtige frühkindliche Bildung konnte nicht oder nur sehr begrenzt stattfinden, was uns jetzt vor neue, zusätzliche Herausforderungen stellt.

 

Neben den psychischen, bildungsrelevanten und wirtschaftlichen Folgen der Isolation zeigen sich auch in diesem Jahr wieder deutlich die gesundheitlichen Resultate: Nach der langen Phase des Maske-Tragens und des persönlichen Abstands sind die Immunsysteme der Kinder so schwach, dass klassischen Atemwegsinfekten wie RSV und Grippe nicht ausreichend bekämpft werden können.

Aktuell sind fast alle Betten der Kinderkliniken in Düsseldorf belegt; es ist kaum möglich, einen Beatmungsplatz in der näheren Umgebung zu bekommen. Bildungstechnisch ist beispielsweise das Abschneiden beim IQB-Bildungstrend fatal, Mindeststandards werden nicht erreicht und unterboten.

Und auch für die Eltern war die Belastung sehr hoch…

Für die Eltern bestanden große wirtschaftliche Sorgen in Folge von Kurzarbeit oder Kündigung. Viele hatten Angst um die Arbeitsstelle bei längerer Abwesenheit, wenn Homeoffice nicht möglich war oder erheblichen Stress bei dem Versuch eben dieses und die gleichzeitige Betreuung von nicht ausgelasteten Kleinkindern unter einen Hut zu bringen. Dies galt insbesondere für Alleinerziehende oder Familien, in denen beide Elternteile arbeiteten.

 

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Dennoch haben auch die meisten Eltern keine Alternative gesehen, solange die Auswirkungen und die Gefährlichkeit des neuen Virus nicht besser einzuschätzen waren. Viele hatten Angst um die eigenen Familien, besonders in der ersten Welle. So verbreitete sich langsam eine Art verzweifelter Duldung, die teilweise bis heute standhält.

 

Hätte man es nicht besser wissen können?

Im weiteren Verlauf hieß es immer wieder von politischer Seite, dass das Virus ideale Vermehrungsbedingungen in den Kindertagesstätten finde und daher Schließungen unumgänglich seien. Zu diesem Zeitpunkt hatten schon wiederholt Kinderärzte genau das angezweifelt und neben den vergleichsweise geringen Ansteckungsraten bei Kleinkindern auch die milden Verläufe und geringen Übertragungsraten aufgezeigt.

Letztlich gab es aber keine verlässlichen Statistiken, die der einen oder anderen Seite Recht gaben. So sind wir alle dankbar für die Gewissheit, die die aktuelle Studie uns gibt.

 

Große Frustration verbreitete sich aber dann, als die Kitaschließungen immer eines der ersten Mittel zur Eindämmung der Pandemie waren, wenn die Inzidenzen anstiegen. Lange bevor es Einschränkungen für die Wirtschaft gab, bevor Läden geschlossen wurden, mussten Kinder wieder zuhause bleiben. Es zeigte einmal mehr den geringen Stellenwert von Kindern und Familien in der deutschen Politik und Gesellschaft.

 

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Welche Lehren sollen wir nun ziehen?

Wir können die Geschehnisse der Vergangenheit nicht mehr ändern, aber wir als Gesellschaft haben jetzt die Chance und nicht zuletzt die Pflicht, die Schuld an unseren Kindern zu begleichen.

Die Kinder mussten den größten Preis zahlen. Jetzt wissen wir, dass es sinnlos war. Auch wenn ein Teil des psychischen Schadens und der Bildungsversäumnisse nie aufgeholt oder ungeschehen gemacht werden kann, so erwarten wir als Eltern, dass die gesamte Politik (und damit ist explizit auch die Kommunalpolitik gemeint) alles dafür tut, die Situation von Kindern und ihren Familien in Deutschland zu verbessern.

 

Welche Erwartungen haben Sie nun an Bund, Land oder Stadt, um die Folgen der Belastungen zu bewältigen?

Das gesamte Konzept der Kita-Finanzierung muss umgestellt werden. Kitas müssen sich hochqualifiziertes Personal leisten können. Wenn sich die Bezahlung für Erzieher*innen lohnt, wird sich die Personalsituation verbessern.

Es ist klar, dass dies von den Kommunen nicht alleine geleistet werden kann.

 

Die Bundes- und Landespolitik muss sich darüber klarwerden, dass nur eine grundsätzliche Besserstellung der Betreuung im Elementarbereich ein Ende der teilweise chaotischen Zustände bedeuten kann.

Wenn es das Ziel unserer Gesellschaft ist, dass Kinder und ein aktives Teilhaben am Arbeitsmarkt zu vereinbaren und den Kindern die besten Möglichkeiten einer geistigen sowie sozialen Entwicklung an die Hand zu geben sind, dürfen nicht nur halbherzig geschnürte Bildungs- und Entlastungspakete als Versuch ausreichen. Die Zeit der bequemen Schuldzuweisungen und des Kompetenzgerangels ist eindeutig vorbei.

 

Es muss Geld investiert werden, um mehr Therapieplätze für Kinder zu schaffen. Es kann nicht sein, dass Eltern, deren Kinder mit Depressionen oder Verhaltensauffälligkeiten aus der Pandemie hervorgegangen sind, nicht wissen, wie sie Hilfe finden sollen, weil alle Plätze belegt sind.

 

Es müssen Lösungen gefunden werden, damit Freizeit- Sport und Bildungsangebote für Kinder auch in Zeiten der Energiekrise bestehen und zugänglich bleiben. Es ist schon viel zu lange zu viel ausgefallen.

 

Wir erwarten, dass die Kommunen alles tun, um die Lücke zu schießen, bis sich auf Landes- oder Bundesebene etwas substantielles bewegt. Statt höhere Gebühren zu erheben, die nicht vollumfänglich in den Bildungssektor fließen oder Entlastungsmaßnahmen wie die Geschwisterkindregelung zu beenden, um den Haushalt zu konsolidieren, sollten Bildung und Familien in der Verteilung von kommunalen Geldern vorrangig bedacht werden.

Und nicht zuletzt hoffen wir inständig, dass die Erkenntnisse dieser Studie auch in Zukunft Beachtung finden und die Kindertagesstätten auch in der nächsten Welle geöffnet bleiben.

Nicht nur das sind wir unseren Kindern schuldig.

 

Nun stellt sich die Frage, was demnächst noch an weiteren Erkenntnissen ans Tageslicht kommt, etwa bei Schulschließungen… 

 

Bericht: Achim Kaemmerer
Fotos: Pixabay / Collage: anzeiger24.de

 


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