Öffentliche Bauaufträge: Aberwitzige Bürokratie – unattraktiv fürs Handwerk?

Handwerksmeister erklärt, warum so viele Projekte sich hinziehen und teurer werden

Das Phänomen ist seit Jahrzehnten bekannt: Wenn eine Kommune (oder auch ein Land oder der Bund) ein Bauprojekt plant oder ein Gebäude sanieren will, läuft vieles aus dem Ruder. Da kann die Erneuerung einer Schultoilette schonmal drei Jahre dauern. Oder ein Vorhaben wird im Laufe der Zeit teurer als ursprünglich kalkuliert. Oder es findet sich einfach kein Handwerksbetrieb, der sich auf die Ausschreibung meldet oder die Bedingungen erfüllt. Und wenn, dann muss oftmals nachgebessert werden, weil „der billigste“ Anbieter genommen wird.

 

Das hat wohl jede Stadt schon mehrfach erlebt – doch woran liegt das eigentlich? Wiehert da der „Amtsschimmel“? Wird in den Verwaltungen schlecht gemanagt? 

Ganz so einfach ist es nicht, sagt uns nun ein etablierter Handwerks-Meister, der es oft mit öffentlichen Aufträgen zu tun hat. Er erzählt uns von seinen Erfahrungen mit der öffentlichen Hand in diversen deutschen Kommunen.

 

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Aus diesen Gründen hapert es in unserem Verwaltungssystem

Vorab: Unser Gesprächspartner will nicht pauschal über die Verwaltungen schimpfen: „Die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter müssen sich an Recht und Gesetz halten. Sonst könnten ihnen Fehler angelastet werden, wenn etwas schief läuft.“

Mit den Vorschriften sichern sie also ihre Entscheidungen ab.

 

Das klingt sehr geordnet, führt aber auch manchmal zu abstrusen und aberwitzigen Konstellationen

 

➤ Das „billigste“ Angebot ist nicht immer das beste

➤ Unseriöse Firmen nutzen Fehler der Ausschreibung aus

➤ Fachkräftemangel in den Verwaltungen

➤ Auch in der Politik wenig Fachkenntnis

➤ Kommunale Ausschreibungen sind für Handwerker zu aufwendig

➤ Lieber Aufträge von Privatkunden übernehmen?

➤ Klüngel vermeiden, dafür mehr Bürokratie

 

 

Das „billigste“ Angebot ist nicht immer das beste

Der Klassiker: Eine Kommune schreibt ein Bauprojekt, einen Reparaturauftrag etc. aus. Und am Ende bekommt das Unternehmen den Zuschlag, das das vermeintlich „günstigste“ Angebot unterbreitet.

Der Gesetzgeber erwartet aber eigentlich, dass das „auskömmlichste“ Angebot gewählt wird. „’Auskömmlich‘ bedeutet, dass das Preis-Leistungsverhältnis stimmig ist“, sagt der Handwerker. Gemeint sei damit aber nicht „das billigste“.

 

Aber in der Praxis wird oft der „billigste“ Anbieter genommen.
Und warum?

 

„Weil sich sonst vielleicht ein Amtsleiter von der Politik fragen lassen muss, warum er ausgerechnet den Anbieter gewählt hat, der etwas teurer ist – es geht ja um Steuergeld.“

 

Dass der „billigere“ Anbieter aber vielleicht keine qualifizierten Facharbeiter beschäftigt oder minderwertiges Material nutzt und deshalb die Qualität leidet, daran werde dann nicht gedacht. „Und deshalb nimmt die Verwaltung lieber den Weg des geringsten Widerstands, bevor es von den ehrenamtlichen Kommunalpolitikerinnen und -politikern ‚Schelte‘ gibt“, sagt der Handwerker.

 

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Unseriöse Firmen nutzen Fehler der Ausschreibung aus

Ein Manko hat unser Gesprächspartner festgestellt: „Viele Ausschreibungen sind lückenhaft und/oder enthalten Fehler.“ Das wird von ausgebufften Unternehmen ausgenutzt: „Dann gibt es Mängel bei der Ausführung, weil bestimmte Angaben fehlen. Dafür erstellt die Firma dann Nachtragsangebote, um diese Mängel zu beseitigen. Und so entstehen Mehrkosten. Die Kommune kann dagegen nichts machen und muss sich das dann vom Stadtrat absegnen lassen.“

 

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Fachkräftemangel in den Verwaltungen

Aber eigentlich sollten doch in den Bauamtsstuben die Experten sitzen, die so etwas durchblicken?

Im Prinzip schon, aber: „Auch der öffentliche Dienst leidet unter Fachkräftemangel. In den Ämtern gibt es wenig qualifiziertes Personal“, so die Behauptung.

 

Wie kommt das? Hierzu meint unser Gesprächspartner: In den Baumämtern werden junge Bauingenieure mit einem Bachelor- und Master-Abschluss eingestellt. Doch die meisten haben wenig praktische Erfahrung mit Baustellen. Daher finden sie erst einmal nur schwerlich einen Job in der freien Wirtschaft, wohl aber im öffentlichen Dienst (der händeringend Personal sucht).

Und eben weil sie so wenig Erfahrung haben, kennen sie sich mit den Ausschreibungen und anderen Verfahren nicht so gut aus. Diese Erfahrungen sammeln sie vielleicht in den ersten zwei, drei Jahren – und wechseln dann in die freie Wirtschaft, weil sie dort besser bezahlt werden.

 

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Auch in der Politik wenig Fachkenntnis

Solche genannten Pannen ließen sich aber vermeiden, wenn die Mitglieder in den Stadträten – also dem Kontrollgremium über der Stadtverwaltung – „mehr Ahnung“ hätten, sagt der Praktiker unverblümt: „In den Stadträten sitzen aber meistens sehr wenig Unternehmer oder Handwerker. Daher verstehen sie nicht, was abgeht. Und so ändert sich auch nichts.“

 

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Kommunale Ausschreibungen sind für Handwerker zu aufwendig

Die öffentliche Hand als Auftraggeber – das muss doch für die Betriebe ein Segen sein. Es gibt immer was zu tun, der Staat kann nicht pleite gehen und bezahlt immer ehrbar seine Rechnungen.

 

Die Realität sieht aber etwas anders aus, sagt unser Experte: „Man muss die Ausschreibung genau studieren und daraufhin sein Angebot zuschneiden. Das ist sehr aufwendig und zeitintensiv.“

Und wenn spezielle Anforderungen erfüllt werden müssen (zum Beispiel: das Material durfte nicht durch Kinderarbeit erzeugt werden, Klimaschutz-Vorgaben müssen eingehalten werden etc.), dann bremst das die Euphorie: „Wie soll ich das denn alles immer nachweisen? Oder wie kann ich das alles beurteilen?“, meint der Handwerker. „Und dann verbringe ich Stunden mit dem Angebot, weiß aber nicht, ob ich auch den Auftrag bekomme. Das ist ein Lottospiel“ Dafür sei ihm aber die Arbeitszeit zu schade.

 

Wenn ein Betrieb dann doch einen Auftrag annimmt, mahlen die bürokratischen Mühlen weiter: „Es kann mehrere Wochen dauern, bis die Angebote im Rathaus geprüft und die Aufträge vergeben werden“, erklärt der Handwerker. Dann muss das Verfahren einige weitere Hürden überwinden. Dabei können Monate vergehen.

„Und in der Zeit bekomme ich vielleicht andere Aufträge rein und muss absagen. Dann geht die Spirale im Amt weiter“, sagt unser Gesprächspartner. „Auch können derweil die Preise anziehen, dann muss alles neu kalkuliert werden.“

 

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Der Staat oder die Kommune bezahlt zwar hinterher die Rechnung – aber auch das kann sich hinziehen. „Ich gehe mit hohen Summen in Vorleistung und bekomme mein Geld frühestens nach 30 Tagen; es kann aber auch zwei Monate oder mehr dauern“, erklärt der Meister.

 

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Lieber Aufträge von Privatkunden übernehmen?

Dann übernimmt ein Handwerksbetrieb doch lieber einen Auftrag von Privatpersonen. Allerdings könnte sich auch dieses Blatt bald wenden, denn: „In den beiden ersten Corona-Jahren hatten die Betriebe viele Aufträge und haben durchgearbeitet. Denn die Menschen sind weniger in den Urlaub geflogen und haben lieber in ihr Eigenheim investiert.“

Jetzt in der Energiekrise und bei der Inflation erwartet er jedoch einen Rückgang, weil die Menschen sparen. „Und dann könnten öffentliche Aufträge wieder interessanter werden…“

 

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Klüngel vermeiden, dafür mehr Bürokratie

Nun gibt es aber auch einen guten Grund, warum die Gesetze so gemacht wurden: Auf diese Weise soll Klüngelei und Vetternwirtschaft vermieden werden – auch wenn es immer wieder gegenteilige Fälle gibt.

 

Daher gilt auch hier das Prinzip: Damit sich ein Sachbearbeiter oder eine Sachbearbeiterin nichts zu Schulden kommen lässt, geht er oder sie eben lieber den gesetzlichen, also bürokratischen Weg.

Und da sagt unser Gesprächspartner ganz offen: „Dann darf sich der Bürger auch nicht aufregen.“

 

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Bericht: Achim Kaemmerer
Foto: A.Stein/Hans/K.Hausmann / Pixabay
Collage: anzeiger24.de

 


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